Reisebericht: Samowar in PETROZAVODSK (Russland)


4. September 2008

Autor: Simon Wagner (jamclub-Dozent und Samowar-Gründer) Wenn man als Deutscher nach Russland reisen will, dann braucht man dafür ein Visum. Und um dieses zu bekommen braucht man einen Reisepass, eine Auslandskrankenversicherung und jemanden der sich darum kümmert. Letzteres besorgte die Tübinger West-Ost-Gesellschaft oder besser gesagt eine Frau namens Lilja, die sich gerne in Rage redet und mir beim ersten Versuch die erforderlichen Unterlagen abzugeben versicherte, dass es jetzt wahrscheinlich schon viel zu spät wäre und wir uns die Reise also getrost abschminken können. Der eine oder andere Versicherungsnachweis sei ungültig, Antragsformulare müssten auch von dem in Berlin wohnenden Gitarristen eigenhändig unterschrieben werden und außerdem wurde noch über Gott und die Welt geschimpft. Die fertigen Visa kamen aber dann doch zwei Wochen bevor die Reise losging. Nach diesem Vorgeschmack russischer Mentalität war ich doch sehr gespannt, wie die Reise verlaufen würde. Los gings dann in aller Herrgottsfrühe am Stuttgarter Flughafen. Über Berlin nach StPetersburg. In Berlin stieg Gitarrist Jo Ambros zu, der auf dieser Reise unseren wegen anderen Konzerten zu Hause gebliebenen Gitarrero ersetzen sollte. In StPetersburg trafen wir dann auf die anderen Mitglieder der Reisegruppe. Da war Bürgermeister Palmer, Leute aus dem Gemeinderat, Teilnehmer einer „Bürgerreise“ und auch eine Delegation aus Neu Brandenburg, das ist auch so eine Partnerstadt der Petrozavodsker. Wir wurden mit einem Reisebus abgeholt, der keine Stossdämpfer hatte. Für alle die sich schon immer gefragt haben, was eigentlich mit den Schlaglöchern passiert, die hierzulande aus den Strassen verschwinden: Ich habe da so eine Theorie. Die werden hier ausgesägt und nach Russland exportiert. Dort werden dann Strassen daraus gebaut. Dementsprechend brauchten wir für 400km schnurgerade Strasse ohne Dörfer knapp 8 Stunden. Dort haben uns am Rathaus schon unsere Gastgeber erwartet, wir sollten nämlich in Familien untergebracht werden. Genauer gesagt bei Deutschstudentinnen, aber die russische Studentin wohnt in der Regel noch bei den Eltern. „Meine“ Studentin fand sich allerdings nicht am Rathaus, die sollte erst am nächsten Morgen kommen. Zumindest glaubte ich das verstanden zu haben, als ihre Mutter mir irgendetwas versuchte zu erklären. Meine Gasteltern waren nur des Russischen mächtig. Wir hatten während unseres Aufenthaltes einen straffen Zeitplan und unsere Übersetzer und Reiseleiter, die uns zugeteilt waren achteten auch darauf, dass dieser eingehalten wird. Am ersten Abend stand ein Club-Konzert auf dem Plan, der Club hieß FM und war eigentlich ein Club wie es ihn auch hätte in Bielefeld oder Regensburg geben können. Davon waren wir alle ein wenig überrascht, da wir tagsüber Zeit hatten, uns die Stadt anzuschauen. Und die wirkte doch sehr anders als Bielefeld oder Regensburg. Die Stadt liegt an einem riesigen See und die Autos und Gebäude sehen sehr nach Sozialismus aus. Auch unsere Gastgeber lebten alle in Plattenbauten. Im Club gab es aber eine ordentliche Anlage, auch die Verstärker und das Drumset waren durchaus bespielbar. Der Auftritt war auch durchweg gut, auch wenn man schon merkte, dass US-Amerikanische Musik der 60er Jahre und Columbianische Volksmusik hier wahrscheinlich noch nicht so oft gehört wurde. Irgendwann sollten wir dann eine Pause machen. Da gab es nämlich ein Feuerwerk. Das merkwürdige daran war, dass es auf Grund der Nördlichen Lage ja niemals dunkel wird. Es war also vor allem Rauch zu sehen und laut. Den genauen Grund des Feuerwerks haben wir nie erfahren. Vielleicht um der Russischen Fußballmannschaft Mut zu machen. Die spielte an diesem Abend nämlich gegen Spanien und das Spiel wurde direkt nach dem Konzert im Club übertragen. Russland hatte keine Chance. Machte aber nix: Die Russischen Fans jubelten bei jedem abgewehrten Ball seitens des russischen Torwarts etwa so sehr wie die deutschen Fans bei einem Tor für Deutschland. Auch die von uns befürchteten Randale nach dem 3 zu 0 Desaster blieben aus. Am nächsten Tag gings in die örtliche Jugendmusikschule. Die ist in Russland sehr staatlich organisiert und riesenhaft groß. Dort sollten wir auch ein Konzert spielen, die Leitung wusste aber nicht, dass wir dazu Verstärker brauchen. So was gab es nämlich nicht in der Musikschule. Aber es gab einen Kontrabass, eine Akustikgitarre und einen Flügel. Also gab es ein Samowar unplugged-Konzert. Aber erst nachdem von einer Vorband ordentlich eingeheizt wurde. Die bestand aus kleinen in Trachten gekleideten Mädchen mit Zöpfen, die Karelische Nationalinstrumente spielten. Am Samstag schließlich war das große Stadtfest. Zu diesem Anlass ist die ganze Stadt auf den Beinen und Menschen aus ganz Karelien kommen um zu feiern. Überall gibt es Schaschlik zu kaufen und Bier. Die Mädchen laufen in Röcken rum, die hierzulande locker als Gürtel durchgehen würden. Es gibt ein reichhaltiges Kulturangebot: Tanzende Mädchen in Trachten, tanzende Männer in Trachten, Karelische Volksmusik und mittendrin: die Samowarband mit einem Konzert, dass wirklich alles zu bieten hatte. In Ohnmacht fallende Frauen, tanzende Oberbürgermeister, Autogramme geben undsoweiter… Nach dem Konzert waren wir im Rathaus zum offiziellen Empfang geladen. Da gab es ein Monster-Buffet und Wodka bis zum Abwinken, während auf der großen Bühne russische Superstars aufspielten. Am Sonntag Abend traten wir dann den Heimweg an. Diesmal ging es per Nachtzug nach StPetersburg, was sich als deutlich komfortabler herausstellte als die Reise im Bus. Am Bahnhof gab es rührselige Abschiedsszenen und tatsächlich wären wir gerne länger geblieben. Die Gastfreundschaft die wir in der Zeit in Russland erfahren durften war überwältigend. Ein paar unserer Gast-Studentinnen werden im Sommer nach Deutschland kommen und uns besuchen….